Die jüngste Räuberpistole um den Schuhhersteller
Ultrasonic hat sie wieder ins Rampenblicht gezerrt, die chinesischen Aktien mit Erstlisting in Deutschland. Mehr als eine halbe Milliarde Euro haben die 15 Unternehmen, die im streng regulierten Prime Standard der
Deutschen Börse notiert sind, seit 2007 eingesammelt. Doch inzwischen knirscht es mächtig im Getriebe. Denn die zehn Unternehmen, die in den vergangenen drei Jahren ihr IPO in Deutschland wagten, bekamen davon nur rund 67 Mio. Euro. Die beiden letzten, VanCamel und
Tintbright, versuchten gar nicht erst an frisches Geld zu kommen. Per „Safe IPO“ ließen sie ihre Aktien einfach nur in Frankfurt notieren.
Viele deutsche Investoren haben inzwischen die Nase voll von den „Aktien Süßsauer“. Vorstände, die mit der Kasse durchbrennen, verweigerte Testate der Wirtschaftsprüfer für die Jahresabschlüsse, Missachtung der Publikationspflichten der Börse und das Wegbrechen des Kerngeschäfts haben viel Vertrauen zerstört. War es früher das Geld der reichen Deutschen, das die Chinesen hierher gelockt hatte, so ist es inzwischen fast hauptsächlich der Imagegewinn im eigenen Land, bei Freund, Feind, Geschäftspartner und Konkurrent. Geschäftsbeziehungen zu Deutschland hat fast keiner von ihnen. Im Reich der Mitte ist ein IPO für kleine Unternehmen – wie die hier gelisteten – fast unmöglich. Auch die anderen asiatischen Börsen machen es den Bonsai-Debütanten nicht leicht. Diese Chance hat die Deutsche Börse genutzt und einen einfachen Katalog aufgestellt, den die Aspiranten erfüllen müssen. Danach steht einem „Listed in Germany“ nichts mehr im Wege. Doch inzwischen ist auch die Deutsche Börse genervt und hat ihre aktiven Akquisitionsbemühungen eingestellt. Der Schaden wird nur noch verwaltet.
Und Schaden haben sie dem deutschen Kapitalmarkt zugefügt. Wie beim Niedergang des „Neuen Marktes“ wird wieder über „Silly German Money“ gespottet. Das muss auch der jüngste Aspirant
Snowbird erfahren. „Warum soll ich mein Geld mit chinesischen Aktien versenken?“, ist eine häufige Antwort, die das Unternehmen von institutionellen Anlegern hierzulande erhält. Sogar Gerüchte über die Absage des Börsengangs von Snowbird machen inzwischen die Runde in Frankfurter Nebenwertekreisen. Dabei sind das Geschäftsmodell und die Wachstumsaussichten des Daunenveredlers recht vielversprechend (siehe dazu „
Schaulaufen“). Kurzfristig keimte die Hoffnung auf, dass der Kurszettel um ein interessantes Unternehmen bereichert würde. Doch die Gerüchte um das Verschwinden der Familie Wu, die die Geschicke von Ultrasonic geleitet hatten, sind eine schlechte Werbung.
Egal, ob die Wus nun mit der Kasse durchbrennen wollten oder das alles nur ein ganz großes Missverständnis ist, hier werden die Probleme der „Red Stocks“ deutlich: Die deutsche AG, an der der Investor beteiligt ist, ist eine reine Holding ohne eigenes Geschäft und ohne eigenes Einkommen. Sie produziert nur Kosten: zum Beispiel Entlohnung für die Aufsichtsräte, Wirtschaftsprüfer, Berater und Banker sowie Listing-Gebühren für die Deutsche Börse. Damit sie diesen Verpflichtungen nachkommen kann, ist sie auf die chinesischen operativen Einheiten angewiesen, die das Geld verdienen. Drehen die den Geldhahn zu, droht schnell die Insolvenz – so wie bei
Youbisheng.
Damit die Chinesen überhaupt Geld aus dem Land transferieren können, muss zwischen den operativen Einheiten und der AG noch eine Hong-Kong-Holding zwischengeschaltet werden. Auch die produziert nur Kosten – hauptsächlich verursacht durch den Börsengang. In der Vergangenheit haben sich Berater und Banken ihre Dienste fürstlich bezahlen lassen. Da wurden schon mal sechsstellige Euro-Beträge allein für „Kommunikationskosten“ in Rechnung gestellt, weiß ein Insider. Bei Strom-Generator-Hersteller
United Power und Spezialglasproduzent
China Specialty Glass zum Beispiel, die beide den Sprung an die Börse erst im zweiten Anlauf schafften, summierten sich die Verluste der Hong-Kong-Gesellschaft jeweils auf einen zweistelligen Millionenbetrag.
In China dann endlich wird das Geld verdient. Die dort ansässigen Gesellschaften firmieren meist als GmbH. Geschäftsführer sind in der Regel die Unternehmensgründer und ihre Vertrauten, die gleichzeitig die Vorstände der deutschen AG sind. Gibt es nun Unstimmigkeiten und verliert der Aufsichtsrat das Vertrauen in die Vorstände, kann er sie zwar aus der AG rausschmeißen. Doch lässt es sich nicht verhindern, dass sie Geschäftsführer der chinesischen Gesellschaften bleiben. Wie bei Youbisheng, können in Ungnade gefallene oder abgetauchte Manager die Geschäfte auch Verwandten oder Bekannten anvertrauen. Repräsentanten der deutschen Muttergesellschaft werden an den Verwaltungs- und Produktionsstandorten in China gar nicht erst vorgelassen.
Warum tauchen Vorstände überhaupt ab? Aufgrund der Sprachprobleme und der unterschiedlichen Gesellschafts- und Rechtsformen ist es sehr schwierig, verlässliche Informationen zu bekommen. Gerüchten zufolge haben die Unternehmer Geldsorgen, obwohl ihre Unternehmen fette Gewinne abwerfen. Die Gründe sind vielschichtig. Entweder soll es dubiose Geldgeber, die eine Anschubfinanzierung leisteten, geben, die nun ihr Geld zurückfordern oder die Manager haben neben ihrem börsennotierten Unternehmen noch andere Geschäfte gemacht und dafür das Geld der Gesellschaft verpfändet. Gehen diese Geschäfte – meist mit Immobilien – in die Hose, wird es eng. Dann bleibt nur noch „Konto räumen und abhauen“.
Damit kommen wir zum Kernproblem – dem chinesische Bankensystem. In mehr als 150 Ländern der Erde gibt es eine Auskunftspflicht der Banken gegenüber den Wirtschaftsprüfern – in China nicht. Zudem kann im Reich der Mitte ein Bevollmächtigter, der so genannte „Legal Representative“, allein über alle Geschäfte verfügen und auch die Konten abräumen. Das ist ein wichtiger Grund, warum deutsche Unternehmer wie zum Beispiel die Mittelstandsholding
Gesco in China keine Tochtergesellschaften gründen. Dazu kommt, dass andere Personen außer dem Bevollmächtigten nicht einmal den Kontostand abfragen können. Das führt zu solch kuriosen Situationen wie bei Youbisheng oder Ultrasonic, dass auch nicht der Finanzvorstand weiß, wieviel Geld auf den Konten ist. Überhaupt ist ein chinesischer Finanzvorstand mit seinem deutschen Pendant nicht zu vergleichen. Meistens wohnen sie nicht am Firmensitz, sondern in Hong Kong, Singapur oder Malaysia. Sie sind gut ausgebildet, beherrschen internationale Rechnungslegungsstandards, sprechen leidlich englisch und arbeiten nicht selten auch noch für andere Firmen. Geholt wurden sie als „IPO-Finanzvorstände“ zum Börsengang – meist auf Vorschlag von Pre-IPO-Investoren, Bankern oder Anwälten. Sie gehören eher zum weiteren Kreis der Berater als dass sie Führungsverantwortung tragen.
So kommt es, dass die meisten chinesischen Unternehmen „One-Man-Shows“ sind. Offensichtlich haben einige auch den Unterschied zwischen eigener Firma und börsennotiertem Unternehmen nicht verinnerlicht. Verschärft wird die Situation durch inkompetente oder desinteressierte Aufsichtsräte, die ihren Überwachungspflichten nicht nachkommen. Immer wieder werden die Forderungen nach ausreichendem Barbestand in der AG und ein Online-Lese-Zugriff auf alle Bankkonten ignoriert. Einzig bei Snowbird sollen diese Sicherungssysteme umgehend implementiert werden.
Der Fall „Ultrasonic“ sollte nun endlich dazu führen, dass die hierzulande gelisteten Chinesen effektive Sicherungssysteme installieren. Die Manager von „Red Stocks“ stehen nicht unter Generalverdacht. Doch die Möglichkeiten, die sich ihnen bieten, könnten weitere in Versuchung bringen. Diese Gefahr preist die Börse derzeit bei den meisten China-Aktien ein. Damit die hohe Profitabilität und das Wachstumspotenzial endlich fair bewertet werden, sind nun schnell geeignete Maßnahmen nötig. Wer diese rasch umsetzt, sollte auch mit einer attraktiven Börsenbewertung belohnt werden.
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