„Mach dir keine Sorgen, wir wollen nicht dein Geld.“ So etwa lautet die Kernaussage, mit der chinesische Unternehmen inzwischen in Deutschland an die Börse gehen. Das war nicht immer so. Vor sieben Jahren, als sich
ZhongDe Waste – das erste Unternehmen aus dem Reich der Mitte – hier dem Kapitalmarkt öffnete, sammelte der Spezialist für Müllverbrennungsanlagen mehr als 100 Mio. Euro ein. Die Emission war mehrfach überzeichnet. Auch Plantagenbetreiber
Asian Bamboo nutzte den Börsengang in Deutschland im November 2007, um gut 80 Mio. Euro für sein Wachstum zu bekommen. Beide Unternehmen sind mit ihren Geschäftsmodellen inzwischen gescheitert.
Etliche Gewinnwarnungen, Verzögerungen bei der Veröffentlichung der Abschlüsse und Betrugsvorwürfe bei einer ganzen Reihe von China-IPOs haben die Anleger abgeschreckt. Die
Deutsche Börse will mit diesem Geschäft nichts mehr zu tun haben und stellte inzwischen alle Akquisitionsbemühungen für ein Listing chinesischer Unternehmen hierzulande ein. Wer alle chinesischen Unternehmen in Sippenhaft nimmt, verspielt erkleckliche Chancen. China bleibt eine der wachstumsstärksten Volkswirtschaften. In wenigen Jahren wird die Volksrepublik den USA den Rang der weltweiten Nummer 1 abgelaufen haben. Das hat Unternehmen, Banken und Investoren in der Vergangenheit zu euphorischen Aussagen und Handlungen verleitet. Nun ist die Stimmung in Depression umgeschlagen.
Unabhängig von allen Problemen: Chinesische Unternehmen empfinden die Notiz an der deutschen Börse als Ritterschlag. Damit können sie in ihrem Heimatland punkten und sich von den Konkurrenten abheben. Darauf haben sich auch die hiesigen Banken eingestellt. Sie gehen neue Wege, um Börsengänge chinesischer Unternehmen auch für die Anleger wieder attraktiv zu machen. Beim Safe-IPO (Einfaches Börsenlisting ohne Kapitalerhöhung) spielt die Kapitalbeschaffung keine Rolle mehr. Wichtigstes Ziel ist die Notiz in Deutschland. Damit der Kurs – anders als bei den meisten in Prime Standard gelisteten Chinesen – auch ordentlich steigt, werden die Aktien inzwischen zu Schleuderpreisen mit KGVs (
Kurs-Gewinn-Verhältnissen) von weniger als eins und zweistelligen Dividendenrenditen angeboten. Bei den jüngsten Emissionen, dem Modeunternehmen
VanCamel sowie der Textilfirma
Tintbright ist die Rechnung aufgegangen. Beide Aktien haben sich inzwischen im Kurs verdoppelt. „Wir haben die Aktien mit einem kleinen Aktienvolumen zu sehr günstigen Konditionen an die Börse gebracht, um die Voraussetzungen für eine möglichst positive Performance zu schaffen“, sagt Tomas Stewens, Leiter der börsenbegleitenden
BankM in Frankfurt. Damit überhaupt ein Börsenhandel zustande kommt, hatte das Geldhaus Zugang zu bis zu 15 Prozent der Aktien von Pre-IPO-Investoren, die sich verpflichtet haben, nur über die Frankfurter Bank zu verkaufen.
Dennoch bleibt die Skepsis gegenüber den „Aktien Süßsauer“, wie sie die
Financial Times Deutschland gern bezeichnete. „Der Ursprung des Dilemmas ist die mangelnde Transparenz“, sagt Maximilian Meyer zu Schwabedissen, Senior Manager beim Wirtschaftsprüfer
Warth & Klein Grant Thornton, der Kanzlei, die die meisten hier gelisteten Chinesen prüft. Natürlich wollen die Unternehmen hier gleich in das höchste Börsensegment, den Prime Standard. Doch dass sie sich dafür in die Bücher sehen lassen, Prognosen erstellen, und Fragen beantworten müssen, das verstehen sie häufig nicht. „Während deutsche Mittelständler sich teilweise jahrelang auf den Börsengang vorbereiten“, so Meyer zu Schwabedissen, „ist das für die meisten Chinesen nur ein Projekt unter vielen.“ Auch wenn die Geschäftsmodelle meist wenig komplex sind, ist die Überleitung von chinesischen zu internationalen Buchführungsstandards nicht immer ganz so einfach. Zwar verfügen die Unternehmen über ein funktionierendes Rechnungswesen, und die Firmenpatriarchen haben für ein verlässliches Finanzmanagement gesorgt. Um bei den Investoren zu überzeugen, wird zum Börsengang meistens mit Hilfe von Pre-IPO-Investoren, der beratenden Bank oder Anwaltskanzlei zusätzlich ein Finanzvorstand (CFO) mit internationaler Erfahrung und einigermaßen Englischkenntnissen gesucht. Anders als hierzulande sind viele dieser IPO-CFOs nicht fest im Unternehmen verankert. „Sie gehören eher zum weiteren Kreis der Berater“, sagt Meyer zu Schwabedissen.
Häufig wohnen sie auch gar nicht am Firmensitz, sondern haben ihr Domizil in Hongkong oder Singapur. Da unterstützen sie nicht selten auch noch andere Kunden. Daher kommt es bei deutschen Investoren häufig zu Missverständnissen. Sie sind es gewohnt, dass der europäische Finanzvorstand sein Unternehmen aus dem Effeff kennt und auch mit dem operativen Geschäft vertraut ist. Das ist bei chinesischen Unternehmen allerdings nur selten der Fall. Ein weiteres Problem sieht Meyer zu Schwabedissen im Ehrgeiz der Firmenlenker, unbedingt im höchsten Börsensegment gelistet zu sein. Natürlich sind hier auch die Transparenzanforderungen am größten. Wenn dann zum Beispiel der Fragenkatalog bei der Prüfung immer länger, die Dokumentation des Risiko-Früherkennungssystems angefordert oder die Umsatz- und Gewinn-Prognosen hinterfragt werden, bereuen einige Unternehmer ihre Notiz im Prime Standard. Doch Meyer zu Schwabedissen sieht auch Erfolge: „Die Unternehmen haben teilweise viel Lehrgeld bezahlt. Daraus haben sie gelernt und sich weiterentwickelt. Auch die Qualität der CFOs hat sich deutlich verbessert.“
Aber der Kulturunterschied bleibt gravierend. Nicht selten ist die Gesichtswahrung wichtiger als die Belastbarkeit der Angaben im Zahlenwerk. Eine echte Konfliktbereitschaft gibt es – ähnlich wie bei den knorrigen deutschen Unternehmern der Aufbaujahre in den 50-er und 60-er Jahren hierzulande – kaum. Selbst um Formalien einzuhalten, dürfen Fragen nicht immer so direkt gestellt werden. Für den Wirtschaftsprüfer (WP) stellt sich dann schnell die Frage, ob das noch akzeptabel ist. Viele Anleger in Deutschland haben den Eindruck gewonnen, dass die Prüfer erst jetzt richtig hinschauen und bereit sind, Konflikte mit dem chinesischen Management auszutragen. Robert Binder, Partner bei Grant Thornton, weist das zurück. Natürlich haben die Wirtschaftsprüfer nach den heftigen Betrugsvorwürfen gegen das Management von
Kinghero, die inzwischen zum Delisting geführt haben, der Verweigerung des Testates bei
Powerland und den Verzögerungen bei der Veröffentlichung einiger Geschäftsberichte erkannt, dass nicht alles so schön ist, wie sie es noch vor zwei, drei Jahren glaubten.
Sie haben die Struktur ihrer Prüfungsarbeit verändert und an die Vorkommnisse angepasst. „Bei den in Deutschland mit Erstnotiz gelisteten Chinesen haben wir die gleichen Probleme wie in den USA oder Kanada, trotz der unterschiedlichen Unternehmensstruktur mit der deutschen AG als Obergesellschaft“, sagt Binder. „Auch hier gibt es Licht und Schatten.“ Da im Vergleich zu den an den US Börsen gelisteten chinesischen Unternehmen die China IPOs in Deutschland in der Regel nur einen Bruchteil an Investorengeldern einwerben konnten, schien der Anreiz für fragliche Bilanzierungspraktiken hier entsprechend geringer. Inzwischen haben die Wirtschaftsprüfer ihre Toolbox an die gemachten Erfahrungen angepasst. Die Methodik wurde verfeinert. Es wird in verschiedene Richtungen gefragt, um die Plausibilität zu überprüfen. Die Risiken werden anders definiert.
Auch die chinesischen Gesetze machen es den Prüfern nicht leicht. „In den meisten Ländern der Erde gibt es eine Auskunftspflicht der Banken“, sagt Binder, „in China nicht.“ Das wussten die WPs natürlich von Beginn an. Auch „guanxi“, das Netzwerk persönlicher Beziehungen, ohne das in China im Geschäftsleben gar nichts geht, haben sie gekannt. Daher werden Saldenbestätigungen von Kontoständen insbesondere bei Banken schon immer persönlich eingeholt. „Doch zwischenzeitlich achten wir auch darauf, dass der Ausdruck tatsächlich aus den originären Datenbeständen des Banksystems stammt und nicht vom Speicherstick am Computer“, sagt Binder. „So hat sich der „Level of Comfort“, welchen wir auf vielen Prüffeldern erreichen wollen, weiter entwickelt.“ Das hat nichts damit zu tun, dass Wirtschaftsprüfer früher großzügiger oder weniger sorgfältig waren. Die Praxis hat gezeigt, dass in China die relative Anzahl von Unstimmigkeiten deutlich höher ist als beispielsweise bei europäischen Unternehmen.
„In Deutschland rechnen wir bei einem Mittelständler bei den Saldenbestätigungen – von der Auswahl der Kunden und Lieferanten über einige ganz normale Nachfragen bei Unstimmigkeiten bis zur vollständigen Dokumentation – mit vier Stunden“, erklärt Binder. „In China investieren wir in der Regel erhebliche Zeit in Recherchen zum wirtschaftlichen Hintergrund der Lieferanten und Kunden unserer Mandanten.“ Grant Thornton hat die Anforderungen an die Jahresabschlussprüfung schon für das Geschäftsjahr 2013 deutlich erhöht. Es muss jetzt abgewartet werden, ob die chinesischen Unternehmen das akzeptieren. Werden sie für Vertrauen bei deutschen Anlegern werben und sich das etwas kosten lassen, oder werden sie die Transparenzanforderungen nicht so wichtig nehmen und sich für eine Alternative entscheiden, bei der sie das Testat schmerzfreier bekommen? Von den chinesischen Unternehmen ist zu hören, dass sie enttäuscht sind von ihrer Aktienkursentwicklung und der Möglichkeit, sich hierzulande Kapital zu beschaffen. Daher wählen sie zunehmend den vermeintlich leichteren Weg.
Das ist zwar verständlich, aber natürlich nicht dazu geeignet, das Image der China-Aktien zu verbessern.
Youbisheng Green Paper hat sich bereits für den 2013er Bericht für einen anderen WP entschieden. Auch
Ming Le Sports sucht noch einen neuen WP.
China Specialty Glass hat bis heute keinen testierten Jahresabschluss 2013 veröffentlicht. Auch kleinere Prüfungsgesellschaften werden sich genau überlegen, welche Kunden sie annehmen. Wenn die Hauptversammlung einen Wirtschaftsprüfer einmal gewählt und der Aufsichtsrat den Vertrag unterschieben hat, kommt der WP aus der Sache nicht mehr raus. Er ist verpflichtet, ein Statement abzugeben. Im schlimmsten Fall ist das die Versagung des Bestätigungsvermerks. Das tut sich natürlich keiner gern an. Ein Auge zudrücken? Für Binder kommt das nicht in Frage. Ihm ist seine Reputation deutlich mehr wert, als die 60.000 bis 70.000 Euro Honorar. Und woher weiß nun der Anleger, ob er bei einer „guten“ oder „schlechten“ Gesellschaft investiert? Um das besser zu erkennen und die Risiken zu begrenzen, hat Binder einige Tipps:
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